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1.3 Rezeptionsgeschichte der Italo-Western: Nichtbeachtung, Ausgrenzung, Provinzialismus

 

Trotz ihres großen Erfolges beim italienischen, aber auch internationalen Publikum (mit Ausnahme des amerikanischen) dauerte es verhältnismäßig lang, bis die akademische Kritik sich herabließ, sich mit dem 'Trivialgenre' Italo-Western zu beschäftigen ("formula cinema": vergl. Frayling 122-24). Cawelti (1971) erwähnt zwar die Sergio Leone - Filme in einer "Chronological List of Major & Representative Westerns" (110-113), übergeht sie aber völlig in seiner Analyse des Westernmythos. Wie um zu betonen, daß diese Filme für ihn uninteressant sind, läßt er eine "List of Western Films by Subject" (113-119) folgen, die die Italo-Western auspart, gerade so, als hätten sie kein Thema. Daß die Filme unter der Rubrik "French Critics Select the Ten Best Westerns" (119 ff) nicht aufgeführt werden, überrascht da kaum noch.[1]

Ebenso analysiert Wright (1975) die amerikanischen Western, die bis Mitte der siebziger Jahre produziert wurden, und erhebt den Anspruch, damit den Westernmythos im allgemeinen zu erfassen. Die Ausschließlichkeit, mit der er erfolgreiche amerikanische Produktionen berücksichtigt, hat zwei Gründe:

- Zum ersten glaubt Wright, die italienischen Western problemlos in sein Schema einfügen zu können, indem er sie unter seinen "professional plot" subsumiert (vergl. 2.1.1 und 2.2.2). Italienische Western stellen für ihn nichts weiter dar als "fill ins" (14), unkreative Produktionen also, die nur Erfolg hatten, da in den USA zur selben Zeit keine nennenswerten Filme hergestellt wurden.

- Zum zweiten hält Wright den Western offensichtlich für einen spezifisch amerikanischen Mythos. Ausländische Produktionen besitzen kaum eine Daseinsberechtigung, die Modifikationen des Westernmythos durch ausländische Regisseure sind für ihn völlig uninteressant.

Dieser Standpunkt ist schon deswegen problematisch, da die Filme, die die wichtigsten Einflüsse auf den von Wright als 'amerikanisch' anerkannten Western darstellen, zwar in Hollywood, aber nicht von Amerikanern gedreht wurden: "Ford is Irish; Zinneman, Austrian; Lang, German; Wyler and Tourneur, French...I don't see, why an Italian should not be included in the group" (Leone zitiert nach Frayling 1981: 35). Und auch außerhalb Hollywoods gab es von Beginn der Kinogeschichte an nennenswerte Beschäftigungen mit dem Westernmythos: in den 20er Jahren schrieb Sergej Eisenstein das Drehbuch zu Sutter's Gold, basierend auf einer französischen Romanvorlage; 1936 brachte Luis Trenker Der Kaiser von Kalifornien heraus. Weder Eisenstein noch Trenker hatten dabei Grund zu befürchten, sie könnten mit ihrer Arbeit Mißfallen bei der jeweiligen politischen Führung erregen:

 

Director's and scriptwriters associated with 'epic' reconstructions of great moments in America's past were quite capable of manipulating history in ways...which both Stalinist and Nazi propagandists might well admire.  (Frayling 7)

 

Inzwischen gibt es sicher kaum ein filmproduzierendes Land, in dem noch kein Western hergestellt wurde (wenn auch sicher nicht alle Adaptionen einen ähnlichen Einfluß auf das Genre nehmen konnten wie die italienischen).

Die weltweite Verbreitung der Westernfilme, die Entstehung eines weltumspannenden Westernpublikums und vor allem die Adaption des Western durch nicht-amerikanische Filmproduktionen für ihr spezielles Publikum legt es nahe, den Western als ein internationales Genre aufzufassen. Somit hat Amerika das Recht auf exklusive Beanspruchung des Mythos verloren bzw. nie besessen. Das historisch-geographische Setting möchte ein solches Recht zwar suggerieren, wird jedoch stets transzendiert:

 

[The] unreality in Westerns, their invention of a world released from the present time, alleviated of the...ordinary hindrances of contemporary living, must be what allows them to be enjoyed by people all over the world who know and care nothing about America, but can recognize a grand old myth when they see one.  (Wood 1976: 29)

 

Ebenso argumentiert Sergio Leone:

 

Man darf den Mythos des Wilden Westens ...nicht mit der historischen Realität Amerikas im vergangenen Jahrhundert verwechseln. Wenn es stimmt, daß die Westernfilme von dieser Epoche inspiriert sind, so trifft es ebenfalls zu, daß sie diese Zeit nach Belieben verändern...Die Fabel, die Dichtung, der Mythos gehören niemandem, sie gehören allen. Und so gehört auch der Western allen!  (Leone zitiert nach Fornari 1984: 22)

 

Sich bei der Analyse des Westernmythos lediglich auf amerikanische Western zu beschränken, wird dem Objekt folglich nicht gerecht.

Frayling (1981) fügt der Wright'schen Analyse eine Abhandlung über den italienischen Western hinzu. Er wiederum beschränkt sich auf diejenigen Filme, die von italienischen Regisseuren gedreht wurden. Diese Vorgehensweise ist einerseits berechtigt, da die Kritik diese Filme als ähnlich und zusammengehörig erlebte und mit den Bezeichnungen 'Spaghetti'- oder 'Italo'-Western als Genre zusammenfaßte und somit auf ihre geographisch-kulturelle Herkunft zurückführte. Außerdem ist es sicherlich richtig, daß es italienische Regisseure waren, die das Genre prägten. Andererseits sind die Bezeichnungen irreführend und Frayling verfällt, ihnen unkritisch folgend, in einen ähnlichen Provinzialismus wie Wright. Dies ist umso überraschender als Frayling doch herausarbeitet, daß es nicht nur die Nationalität der Regisseure ist, die die Filme gemeinsam haben, sondern darüber hinaus auffällige strukturelle Merkmale. Letztere sollten eigentlich zu der Erkenntnis führen, daß Filme wie die von und mit Clint Eastwood, von Sinola über Ein Fremder ohne Namen und Pale Rider zu Erbarmungslos, im Grunde "Spaghettis" sind,[2] von der Grundstruktur her vielleicht noch eher als Once upon (vergl. 2.2.3.4).[3]



[1]     Die in Ford (1976) vertretene Position mag als kennzeichnend für die der französischen Kritik angesehen werden: der Italo-Western wird zwar als wichtiger Periode in der Geschichte des Westerns aufgeführt, allerdings unter der Rubrik "Le 'faux western' européen" (263-272).

 

[2]     Frayling bemüht sich im Anhang zwar, die Einflüsse der Italo-Western auf die Filme Eastwoods, Siegels und Peckinpahs aufzuzeigen. Jedoch auch frappierende strukturelle bzw. stilistische Ähnlichkeit kann Frayling nicht dazu bewegen, den Begriff des 'Italo-Western' weiter zu fassen (280-286).

 

[3]     Once Upon = Spiel mir das Lied vom Tod. Da die Filmtitel meist relativ lang sind, werden im Text Abkürzungen verwendet. Im Anhang befindet sich eine Liste aller Filme, in der die jeweiligen Abkürzungen gekennzeichnet sind.

 

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