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4.1.2 Neuentdeckte Körperlichkeit: Homophobie und Vulgarität

 

        Der Held ist als solcher oft im Bild und fordert das Publikum durch seine Aktionen und sein Gebaren auf, ihn zu bewundern. "Dandyism and fetishisation of the male body are obvious characteristics of those films" (Pumphrey 90). Die Blicke der gelegentlich auftretenden Frauen verdeutlichen seine sexuelle Attraktivität, was neben der Opferrolle gerade im Macho-Genre Italo-Western, aber auch im traditionellen Western ihre einzige Funktion ist, wie Sergio Leone darlegt:

 

Even in the greatest Westerns, the woman is imposed on the action, as a star, and is generally destined to be 'had' by the male lead. But she does not exist as a woman. If you cut her out of the film...the film becomes much better. In the desert, the essential problem was to survive. Women were an obstacle to survival! Usually, the woman not only holds up the story, but she has no real character, no reality. She is a symbol. She is there without having any reason to be there, simply because one must have a woman, and because the hero must prove, in some way or another, that he has 'sex appeal'.  (Frayling 129)

 

Ähnlich wie der traditionelle Westernheld gerät der des Italo-Western damit in die Lage, mögliches Objekt homosexueller Begierden zu sein, denn "Westerns are consistently constructed around the male point of view and targeted at male audiences" (Pumphrey 85). Während der traditionelle Westernheld sich jedoch deutlich zu seiner Heterosexualität bekennt, fehlt dem Helden des Italo-Western diese Möglichkeit, da Frauen in diesen Filmen extrem marginalisiert sind (vergl 3.4). Pumphrey betont jedoch, daß damit noch keine Abkehr von der dem Western (bzw. allen Action-Filmen vom Western bis zu den Filmen Stallones und Schwarzeneggers) eigenen Homophobie stattgefunden hat.

 

In the Spaghetti Westerns, where close-ups are relatively common, their potentially eroticising implications are obscured. In Leone's shoot-outs, for example (the argument is Steve Neale's), the spectator is not permitted to look directly at the fetishised male images on screen but is forced to experience them through the edited interaction and hostility of the combatants.  (86)

 

        Die schon erwähnte Schmuddeligkeit des Helden (und auch anderer männlicher Figuren) wirkt ebenfalls als Schutzbarriere gegen homosexuelle Phantasien.[1] Sie ist jedoch auch als Neuentdeckung der Körperlichkeit zu werten: im Gegensatz zur klinischen Reinheit des Helden im traditionellen Western sind die Schweißtropfen auf der Stirn des Helden, Schweißflecken unter den Achseln, Schmutz an Händen und Gesicht klar als markierte Details anzusehen, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Körper der (männlichen) Figuren lenken. Jedoch muß betont werden, daß sich das Augenmerk meist nicht auf besonders anziehende Aspekte von Körperlichkeit richtet. Schweiß und Schmutz (oder auch Blut) bedecken die Körper, diese sind also nicht nur nicht schön anzusehen, sondern lassen auch üble Gerüche vermuten. In Todesmelodie zeigt Leone die Münder von reichen Bürgern, die einen Bauern beschimpfen, in Großaufnahme, was den Mund als ekelerregende Höhle erscheinen läßt: ein Kommentar zu den chauvinistischen Äußerungen aus diesen Mündern, wie er eindeutiger nicht denkbar ist. Körperfunktionen, die im traditionellen Western weitgehend ausgespart blieben, werden im Italo-Western thematisiert: die Bud Spencer/Terence Hill - Western zeigen genüßlich, wie die Helden essen: es wird geschmatzt, gerülpst, gefurzt, das Fett tropft in den Bart etc. In Leichen steigt Kinski plötzlich vom Pferd, weil er "mal scheißen" muß, und bestätigt somit, was Generationen von Westernzuschauern stets vermutet hatten, aber nie zu fragen wagten: der Westerner muß tatsächlich auch aufs Klo. In Todesmelodie darf ein Schauspieler sein Hinterteil gar direkt in die Kamera halten.

        Neben ihrer deerotisierenden Wirkung erhält die Betonung von Körperlichkeit in Todesmelodie eine politische Dimension (vergl. auch 4.2.1): ein sich als Herrenmensch aufspielender Nordamerikaner (er sagt über die mexikanischen Bauern: "Jedes Land hat seine Plage: wie die Neger bei uns in Amerika.") wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, indem man ihn bei einem Überfall seiner Kleider beraubt. Er beschwert sich und verkündet großspurig: "Das werdet ihr teuer bezahlen. Ich bin Bürger der Vereinigten Staaten, Bastards!" Darauf erwidert ein alter Bandit: "Schon möglich, aber nackt bist du genaus so'n Scheißkerl wie wir andern."



[1]    Daß vornehmlich amerikanische Produzenten es immer noch für nötig empfinden, solche Schutzbarrieren einzubauen, zeigt Cliffhanger: der Held beschimpft einen seiner Gegner als 'Schwulen' und 'Tunte'.

 

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